Mein Caminho Teil 5

Santiago de Compostela
Am Ende meines Pilgerwegs

Am nächsten Tag sollte mir wieder etwas Besonderes begegnen. Hinter Arcade ging ich durch ein Waldstück und die letzten Tage gingen mir durch den Kopf, als ich Gitarrenmusik hörte. Höre ich Harfenklänge oder werde ich verrückt? Als ich in einen Weg abbog, saß dort ein junger Mann und spielte auf seiner Gitarre. Ich lauschte ihm eine Zeit lang und wollte ein paar Münzen in seine Dose werfen, als er aufhörte zu spielen, mir einen Zettel unter die Nase hielt und in Englisch erklärte, dass ich am Ende des Weges unbedingt vom Pilgerweg abweichen solle um den schönsten Weg des Caminos zu finden. Ok, meinte ich verdutzt und dachte mir, dass sein Freund dort wohl den einsamen Pilgerinnen auflauern würde 😉 Irgendwann traf ich gedankenversunken im Tal ein, als ein Moped neben mir anhielt. Ein Mann zog den Reißverschluss seiner Jacke auf, deutete auf ein Postzeichen um mir zu erklären, dass er Postbote sei. Er nahm meine Hand und kritzelte mit seinem Kuli einen Weg in meine Hand. Diesen Weg müsse ich unbedingt gehen, er sei einfach schöner, als durch das Industriegebiet, das vor mir liegt. Ok, der zweite Mensch, der mich auf einen schönen Weg aufmerksam macht. Diesmal ein Galicier. Also vertraue ich und folge dem empfohlenen Pfad. Nach wenigen Metern rollen Tränen über Tränen über mein Gesicht und ich bin überwältigt von der Schönheit, der Klarheit des Baches, der hohen Bäume, der kleinen Lichtungen und der Einsamkeit. Welch Geschenk haben diese beiden Männer mir gemacht, mir diesen Weg zu weisen. Ich bin alleine und um mich herum zwitschern die Vögel im Wettstreit, der Bach plätschert fröhlich gläsern vor sich hin und Blumen und Farne wiegen sich im Wind. Ein Farn winkt mir zu. Bin ich noch bei mir? Ich will ihn filmen, da hört er auf. Ich stecke meine Kamera weg und er winkt mir wieder zu. Ok. Heute wundert mich nichts mehr. Ich bin dankbar und nehme es so wie es ist. Annehmen was ist, ja!

Als ich abends in Pontevedra beim Essen anderen Pilgerfreunden von diesem Weg erzähle stelle ich fest, dass niemand sonst diesen Weg gefunden hat. Wo war der Gitarrenspieler?

Auf dem Weg nach Caldas de Reis  treffe ich erstmals öfter bekannte Gesichter. So langsam merke ich, dass mein Pilgerweg sich dem Ziel nähert und dass alles ein Ende haben wird.

Am nächsten Tag gehe ich nach Padron. Der Weg ist recht unspektakulär. Meine Füße melden sich immer häufiger und ich freue mich, endlich in Santiago anzukommen. Als ich in Padron bin, ist dort Markt. Es ist laut, überall riecht es nach Essen und ich sehne mich nach einer Dusche und einem Bett.  Abends treffe ich die beiden Eifler und Manfred und wir essen Jakobsmuscheln und leckeren Fisch, trinken wunderbaren Wein und lachen viel. Ein wenig Wehmut kommt auf. Die gemeinsamen Abende sind vertraut, wir sind uns vertraut.

Der letzte Tag. Ein langer Weg. 23 Kilometer nach Santiago. Ich merke, wie meine Kräfte schwinden und meine Füße schwächeln. Ich komme gut voran. Ca. 9 Kilometer vor Santiago mache ich eine letzte Rast. Treffe noch einmal andere Pilger, die nur 10 Tage unterwegs waren, Radfahrer, die über die Pflastersteine in Portugal fluchen, drei Franzosen, mit denen ich mich nur mit Händen und Füßen unterhalten kann, die mir schon oft begegnet sind. Als ich aufbrechen will, kommt Manfred und wir beschließen, das letzte Stück gemeinsam zu gehen.

Was für ein Geschenk. Es geht steil bergab. Ich kann kaum noch gehen. Er motiviert mich, spricht mir Mut zu und macht mit mir viele Pausen. Dann geht es steil bergauf nach Santiago. Ein Büßerweg, denke ich. Kurz vor dem Ziel und meine Füße machen schlapp. Ich steuere auf die erste Apotheke zu und kaufe neues Pflaster. Wir sind in der Stadt. Die Kathedrale kann nicht mehr weit sein. Die letzten Kilometer verdoppeln sich und wir sind sehr, sehr lange unterwegs. Gegen 16 Uhr stehen wir vor dem Tor der Kathedrale. Ich bin erleichtert und froh und  dankbar und schließe Manfred in die Arme. Ohne ihn hätte ich es heute nicht geschafft, das weiß ich. Er macht ein Foto und ich schaffe es, meine Stöcke hoch zu halten. Geschafft!

Wir treffen vereinzelte Bekannte, tauschen uns kurz aus, verabreden uns zum Abendessen. Ich nehme mir ein Taxi zum Hotel. Es ist etwas außerhalb und von meinem Dachfenster habe ich eine wunderbare Aussicht über die Stadt. Morgen werde ich an der Pilgermesse teilnehmen und vielleicht noch einmal Weggefährten und -gefährtinnen wiedersehen.

Über 250 Kilometer bin ich gepilgert, überwiegend alleine, in 12 Tagen. Ich freue mich wie Bolle und irgendwie ist es auch unwirklich.

 

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